Julian Barnes:

Eine Geschichte der Welt in 10 1/2 Kapiteln
Originaltitel: A History of the world in 10 1/2 Chapters

Prosa, 1989

Eine höchst unkonventionelle Darstellung der Menschheitsgeschichte, die Salman Rushdie zur höchst treffenden Einschätzung bewegt haben soll: »Barnes ist so etwas wie die weltliche, säkularisierte Reinkarnation eines mittelalterlichen Kommentators heiliger Schriften.« Die stilistisch und thematisch unterschiedlichen Geschichten – historische wie fiktive – werden durch die stete Erwähnung der Arche (Noah) und des Holzwurms lose miteinander verbunden.

1.: Der blinde Passagier
Die Geschichte der Arche Noah einmal anders. Der blinde Passagier, ein Holzwurm, erzählt seine Version – großartig!!

Aber ich bin frei von solchen Befangenheiten. Ich war niemals auserwählt. Genaugenommen war ich, wie diverse andere Arten, ausdrücklich nicht auserwählt. […] Wenn ich an Die Reise zurückdenke, fühle ich mich niemandem verpflichtet; mir verschmiert keine Dankbarkeitsvaseline die Linse. Meiner Darstellung könnt ihr vertrauen. — Barnes: Geschichte der Welt (Ü.: Gertraude Krueger)

2.: Die Besucher
Das Ausflugsschiff Santa Euphemia wird von arabischen Terroristen gekapert. Der Ausflugsleiter und bekannte Fernsehhistoriker Franklin Hughes soll den Geiseln den "historischen Aspekt der Sache" vermitteln.

3.: Die Religionskriege
Als als 22. April 1520 der einmal jährlich benutzte Bischofsthron in der Kirche Saint Michel unter dem Gewicht des Bischofs zu Besançon zusammenbricht und der Bischof dabei schweren Schaden nimmt – »in die Finsternis der Blödigkeit fiel« –, wird den Verursachern der Prozess gemacht: den Holzwürmern. Ein Auszug aus dem Verfahren. (Der Verteidiger der Holzwürmer war der Rechtsgelehrte Bartholomé Chassenée.)

4.: Die Überlebende
Im festen Glauben der (atomare) Krieg sei ausgebrochen, verlässt die feinfühlige Kathleen Ferris ihren (ignoranten) Mann Greg und fährt mit dessen Boot (und zwei Katzen) aufs Meer hinaus.

5.: Schiffbruch
I.
Die Geschichte der im Juli 1816 an der westafrikanischen Küste aufgelaufenen französischen Fregatte Medusa und ihrer Besatzung. Da die übrigen Schiffe des Verbandes nicht alle aufnehmen können, wird für 150 Mann ein Floß gebaut – und sich selbst überlassen. Nach 15 grauenvollen Tagen werden nur noch 15 Überlebende gerettet.

II.
Über das 1819 fertiggestellte Bild Szene eines Schiffsbruchs von Jean Louis Théodore Géricault, das auch unter dem Namen Das Floß der »Medusa« bekannt ist: »Wie macht man aus Katastrophen Kunst?«

6.: Der Berg
1840 unternimmt Amanda Fergusson zusammen mit ihrer Gesellschafterin Miss Logan eine Expedition nach Ahira, wo Noah nach der Sintflut gelebt haben soll. Die Reise an die Hänge des Ararat soll eine Art Pilgerfahrt für die Seele ihres jüngst verstorbenen (ungläubigen) Vater werden.

7.: Drei einfache Geschichten
I.
Ein junger Mann lernt Lawrence Beesley kennen, der einst die »Titanic«-Katastrophe überlebt hatte.

II.
Über die Geschichte von Jona im Bauch des Wales und ähnliche Mythen.

III.
Die schreckliche Irrfahrt der »St. Louis« im Sommer 1939, deren Passagieren – 937 jüdische Auswanderer aus Nazi-Deutschland – trotz gültiger Papiere, Tickets und Transitvisa erst von Kuba die Einreise verweigert wird, dann von allen amerikanischen Staaten. Nach 40 Tagen und über 10.000 Meilen Irrfahrt werden die Nirgendwo-Erwünschten von Belgien, Holland, Frankreich und Großbritannien aufgenommen.

8.: Stromaufwärts!
Briefe des Schauspielers Charlie aus dem südamerikanischen Dschungel, wo eine Film-Crew das einstige Schicksal zweier Jesuiten verfilmen will, an seine Freundin in London.

In Klammern
Eine wunderbare Erzählung über die Liebe.

»Ich liebe dich.« Zunächst einmal sollten wir diese Worte lieber ganz oben aufs Regal stellen; in eine viereckige Schachtel hinter Glas, das wir mit dem Ellenbogen einschlagen müssen; in einen Banktresor. […] Wenn die Worte zu leicht greifbar sind, gebrauchen wir sie ohne nachzudenken; dann können wir nicht widerstehen. Klar sagen wir, wir tun das nicht, aber dann tun wir’s doch. Wir sind betrunken, oder einsam, oder – was am allerwahrscheinlichsten ist – wir machen uns einfach Hoffnungen verdammt noch mal, und schon sind die Worte weg, verbraucht, versaut. — Barnes: Geschichte der Welt

9.: Projekt Ararat
Nachdem der Astronaut Spike "Touchdown" Tiggler auf dem Mond den längsten Pass (450 Yards) in der Geschichte der National Football League geworfen hat, sagt ihm eine Stimme: »Suche die Arche Noah.«
Eine weitere Satire auf den christlichen Fundamentalismus.

10.: Der Traum
Der Ich-Erzähler schildert seinen Traum von einem hedonistisch-materialistischen Himmel, der ihm lange Zeit alle Wünsche erfüllt.

Ich konnte mich gewiß nicht darüber beklagen, wie man mich behandelt hatte. Alle waren von Anfang an fair zu mir gewesen. Ich holte tief Luft. »Ich habe den Eindruck«, fuhr ich fort, »der Himmel ist eine sehr gute Idee, eine perfekte Idee, könnte man sagen, aber nicht für uns. Nicht, wenn man so ist wie wir.« […] »Immer alles zu bekommen, was man will, ist nach einer gewissen Zeit fast so, wie nie etwas zu bekommen, was man will.« — Barnes: Geschichte der Welt

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21.12.2004 / 2014

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Julian Barnes: Eine Geschichte der Welt in 10 1/2 Kapiteln

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