20. Juli 1944

Das Attentat

Vor 60 Jahren missglückte das wohl bekannteste Attentat auf Adolf Hitler, den unumschränkt herrschenden Führer des sogenannten III. Reichs. Eine relativ kleine Gruppe von Offizieren und/oder Adeligen wollten diesen Reichskanzler und "Größten Feldherrn aller Zeiten" mit einer Bombe beseitigen, putschartig die Macht in Großdeutschland übernehmen und – angesichts der längst aussichtslosen militärischen Lage – in Friedensverhandlungen mit den Kriegsgegnern treten.
Die Bombe explodiert wie vorgesehen und im Glauben, den Führer damit getötet zu haben gehen die Putschisten weiter nach Plan vor. Doch die Wände des Raums hatten der Druckwelle der Explosion nachgegeben, statt sie zu reflektieren. Hitler überlebt den Anschlag leicht verletzt. Und nach ein paar Stunden der allgemeinen Verwirrung ist der Putschversuch gescheitert. Die (meisten der) Verschwörer sind bald verhaftet, in einem rasch anberaumten Schauprozess abgeurteilt und hingerichtet.

Mythos der Sendung

»Ich habe das Empfinden, in ihm [Hitler] vor einem Menschen zu stehen, der unter Gottes Hand arbeitet.«, notiert der Propagandaminister Joseph Goebbels am 23.7.1944 in seinen – für eine spätere Veröffentlichung vorgesehenen – Tagebüchern. Gewiss war er nicht der Einzige, der nach diesem Attentat (erst recht) an den Mythos von "Hitler’s Sendung" glaubte, dass die Vorsehung, das Schicksal oder (eine) Gott(heit) eine schützende Hand über den Führer halte.

Kriegslage 1944

Seit 1942/1943 war das Großdeutsche Reich an allen Fronten auf dem Rückzug: Afrika war verloren, der einstige Verbündete Italien war bis zur Höhe Rom (Befreiung am 4.6.1944) erobert, die Invasion (6.6.1944) der Allierten in der Normandie war erfolgreich verlaufen und deren Truppen begannen unaufhaltsam mit der Befreiung Frankreichs.
Und im Osten? In Wahrheit war die Ostfront seit dem Winter 1941 ständig in Gefahr gewesen, völlig zusammenzubrechen. Nur mit äußerster Brutalität ("Entschlossenheit") war sie gehalten und mitunter sogar ausgedehnt worden. Aber seit Stalingrad (Anfang Februar 1943) reihte sich Niederlage an Niederlage, ein riesiger Schlachthof für Menschen (und Material). Auch an der Heimatfront gab es nichts zu jubeln: Sämtliche Ressourcen wurden immer knapper und Tag und Nacht zerstörten die allierten Bomberverbände Städte, Industrieanlagen, Verkehrsverbindungen usw. (Was hingegen leider wirklich noch "gut funktionierte" war die Vernichtungsmaschinerie der "Endlösung").

Es gab im Juli 1944 keinen vernünftigen Grund, an der Niederlage des III. Reichs zu zweifeln.

Hoffen auf ein Wunder

Nur Wunder konnten noch helfen bzw. der Glaube daran. Der Glaube an Wunderwaffen, an ein politisches Wunder – das Zerbrechen der feindlichen Allianz (eine solche "Krise" wurde von Goebbels bis zuletzt vergeblich heraufbeschworen) – oder sonst irgendeinen wundersamen Eingriff des Schicksals zu Gunsten der Nazis.
Je schlimmer die Kriegslage wurde, umso öfter erinnerte (sich) Goebbels an die Krisen und "Wunder" der "Bewegung":

Zweifellos ist dieser Ausrottungsprozeß [die "Reinigung" in der Generalität nach dem 20. Juli 1944] mit einer momentanen Krise verbunden, ähnlich den Krisen, die bisher immer mit den Putschen innerhalb der Partei oder des Staates verbunden gewesen sind. Ich mache den Führer darauf aufmerksam, daß sowohl die verschiedenen Strasser- und Stennes-Krisen als auch der Röhm-Putsch am Ende zu einer ungeheuren Stärkung des nationalsozialistischen Regimes geführt haben. Das wird auch hier der Fall sein. […] Er [Hitler] ist das größte geschichtliche Genie, das in unserer Zeit lebt. Mit ihm werden wir zum Siege kommen, oder mit ihm werden wir heroisch untergehen. […] Der Krieg wird seinen kritischen Punkt bald überschreiten, und dann wird es zuerst in der Heimat und dann auch an den Fronten wieder vorwärtsgehen. — Tagebucheintrag Goebbels 23.7.1944

Vorbild Friedrich II.

Und noch ein anderes Wunder wurde für Goebbels und Hitler zur letzten großen Hoffnung und entsprechend in der NS-Propaganda seit 1942 immer wieder hervorgehoben: Friedrich II. (der Große) und das Wunder 1762. Damals schien Preussen im Krieg gegen Österreich, Frankreich, Schweden und Russland völlig am Ende. Doch nach dem Tod der Zarin Elisabeth trat Russland unter der Zarin Katharina II. aus der Koalition, die allgemeine Kriegsmüdigkeit und die gewaltigen Staatsschulden zwangen auch die anderen zur Beendigung des Krieges. Preußen war gerettet.

Auch die stoisch-philosophische Haltung zu den Menschen und zu den Ereignissen, die der Führer heute einnimmt, erinnert stark an Friedrich den Großen. — Tagebucheintrag Goebbels vom 28.2.1945

Bis zuletzt konnte sich Goebbels seinen Glauben an den Führer (und ein Wunder) aufrechterhalten:

Es ist geradezu bewunderswert, wie der Führer in diesem Frontdilemma immer und unentwegt auf seinen guten Stern vertraut. […] Aber er ist ja schon oft wie ein Deus ex machina aus den Wolken herniedergestiegen. — Tagebucheintrag Goebbels vom 28.3.1945

Wenn das Attentat erfolgreich gewesen wäre …

Das Attentat vom 20. Juli 1944 stützte sich nicht auf breite Unterstützung. Die Verschwörer dachten auch nicht daran, einen allgemeinen Volksaufstand mit der Beseitigung Hitlers herbeizuführen.
Wäre das Attentat erfolgreich gewesen und wäre der Putsch tatsächlich auch sonst erfolgreich verlaufen – was ja keineswegs automatisch mit dem Tod Hitlers bewerkstelligt gewesen wäre –, hätte es wirklich ein ähnlich rasches Kriegsende gegeben wie ein knappes Jahr später nach dem Selbstmord Hitlers?

Noch waren die Fronten fern von den Grenzen des Großdeutschen Reiches von 1939 und die Allierten hatten sich längst auf ein "unconditional surrender" Deutschlands für die Beendigung des Krieges eingeschworen. Trotz feststellbarer Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung, trotzdem Hitler längst den Nimbus des Siegers, des genialen Staatsmannes und Kriegsherrn eingebüßt hatte … es gab weiterhin viele, die an den Sieg oder zumindest ein Überleben des Großdeutschen Reiches unter nationalsozialistischer Fahne glaubten oder glauben wollten.

Die Tötung Hitlers hätte in jedem Fall eine neue "Dolchstoss-Legende" verursacht. Selbst das missglückte Attentat gab Goebbels Anlass eine solche herbei zu reden:

Er [Hitler] ist fest entschlossen, nun ein blutiges Beispiel zu statuieren und eine Freimaurerloge auszurotten, die uns seit jeher feindlich gesonnen ist und nur auf den Augenblick gewartet hat, um uns in der kritischsten Stunde des Reiches den Dolch in den Rücken zu stoßen. — Tagebucheintrag Goebbels vom 23.7.1944

Die politischen Folgen einer solchen Legende – möge sie auch auf noch schwächeren Beinen stehen als ihre "Vorgängerin" – wären sicher schauderhaft gewesen.

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