Im Herz das Feuer
Unterwegs von Kairo in den Süden Afrikas
Sachbuch, 2002
Das knapp 130 Seiten umfassende Buch ist kein Reiseführer im herkömmlichen Stil. Ebenso wenig ein Leitfaden für Abenteuerlustige, die den Spuren des Autors folgen wollen – von Ägypten über den Sudan in das Herz von Afrika. Dennoch wird jeder, der Afrika bereisen will oder sich sonst für diesen "vergessenen Kontinent" interessiert, wertvolles Wissen aus diesem Buch beziehen können.
Denn Andreas Altmann hat auf seiner abenteuerlichen Reise vorallem sehr Rares gesammelt und notiert: Begegnungen und Gespräche mit Menschen.
"Auf Empfang"
Ich schlendere und "stelle auf Empfang". Den Ausdruck hat Henry Miller erfunden. Der Meister meinte, daß wir nichts zu suchen hätten, nur "finden" müßten. Alles sei bereits da, wir müßten nur bereit sein, es zu entdecken. Deshalb die Antennen. Damit uns nichts entgeht. Sich bloßlegen, sich aufmachen, die sieben Sinne der Welt, der Umwelt zur Verfügung stellen. Wie eine Hure sich von allem und jeden anmachen lassen. — Andreas Altmann: Im Herz das Feuer, Seite 27
Altmann wimmelt niemanden, der ihn anspricht, ab, folgte jedem, der ihn herbei winkt, und sucht bei jeder Gelegenheit den Kontakt zu Einheimischen, um mehr über die jeweilige Person und ihr Leben zu erfahren. Die Gesprächspartner findet er in Kaffeehäusern und Lokalen, in den kleinen Läden, beim Friseur, am LKW, … in erster Linie aber einfach auf der Straße. Zumeist sind es in diesen islamisch geprägten Ländern freilich Männer.
Reiseroute
Die Reise beginnt in Kairo – rund 50 Seiten sind dieser Mega-Stadt gewidmet – und führt dann nach Assuan. An der sudanesischen Grenze endet der touristisch erschlossene Weg. Per Bus und vorallem Lastwagen gelangt Altmann quer durch den Sudan in die Zentralafrikanische Republik und weiter in die Demokratische Republik Kongo, dem ehemaligen Zaire. Doch bereits nahe der Grenze, in Gbadolite, lassen die Unruhen ein Weiterkommen auf dem Landweg nicht zu: mit dem Flugzeug gelangt Altmann über Kinhasa (Zwischenlandung) nach Lubumbashi im äußersten Südosten des Landes. Der Bericht endet kurz nach dem Grenzübertritt nach Sambia – als eine us-amerikanische Touristengruppe klischeegerecht das Restaurant betritt.
Geschichten und Eigenheiten
Afrika ist voll von Geschichten und Geschichtenerzählern, und Andreas Altmann weiß, dass er als Gesprächspartner oder Zuhörer in mehrfacher Weise nicht neutral ist: Er liebt den arabischen Raum und die Sprache, wird von ihr "benebelt" wie von einem Rauschmittel, sodass es ihm bei den Notizen oft schwer fällt, das tatsächlich Geschehene von dem, was er (fasziniert) hinein intepretiert hat, zu unterscheiden. Und er ist ein hell(er)häutiger Europäer – somit sichtbar ein Gast, in den Augen der Einheimischen (und weiter Teile der restlichen Welt) ein stinkreicher Christ in einem armseligen Land.
Finanzielle "Hoffnungen" zeigen Altmann gegenüber aber hauptsächlich Beamte (insbesondere Soldaten und Polizisten), deren Unterbezahlung einen besonderen Einfallsreichtum fördert, wenn es darum geht, neue Einkunftsmöglichkeiten zu kreieren. (Dass man auch sonst als Nicht-Einheimischer mitunter "Spezial-Preise" zahlen muss, dürfte jedem Reisenden klar sein.)
Auffällig sind bei allen Begegnungen besonders die Ausdauer und Gelassenheit, mit der diese Menschen ihr Leben ertragen, geprägt von einer erstaunlichen Schicksalsgläubigkeit und ermutigt durch die sichere Aussicht auf ein paradiesisches Jenseits, das ihnen der Islam verspricht.
Im Arabischen heißt das Wort »Zukunft« (»mustakbal«), wörtlich übersetzt: »das Angenommene, das Akzeptierte«. Vielleicht reicht das als Erklärung für den Gleichmut der Sudanesen. Was auch geschieht, nie höre ich einen Fluch, ein rasendes Wort, einen Wutausbruch. Sie nehmen es hin, machen sich an die Arbeit. Und hinterher keine andere Reaktion: Ein Kopfnicken, ein Lächeln. Kein Freudenschrei, kein Protzen, keine Sprüche. Ähnlich ihr Umgang mit der Zeit. Nie habe ich den Eindruck, daß sie Zeit »verlieren«. Ich kauere hinter dem Reifen und denke, was für ein Verlust. Sie denken das nicht. Ich weiß, daß sie es nicht denken, ich habe danach gefragt. Denn Zeit »vergeht« nicht, Zeit ist immer da. — Andreas Altmann: Im Herz das Feuer, Seite 88
Und Afrika ist keineswegs nur ein Kontinent des Jammers. Altmann kann ebenso von aufrichtiger Gastfreundschaft, Herzlichkeit und zahlreichen schönen Momenten berichten. Auch wenn die Schönheit manchmal erst auf den zweiten Blick erkennbar ist.
Azen lebt hier. Als wir in den Ort [Nyala, Hauptstadt der sudanesischen Provinz Süd-Darfur] hineinfahren, sagt er den unglaublichen Satz: »It's a beautiful city, isn't it?« Ein Drecksloch, ausgedörrt, auf den Abfallhaufen wimmeln Kinder und Alte, die nach Nahrung suchen. Aber hier sind die Menschen, die Azen liebt. Hier muß es schön sein. — Andreas Altmann: Im Herz das Feuer, Seite 91
In Mitten von Armut, Krankheit und Hunger florieren Schmuggel, Raub und Gewalt. Die Kleinen versuchen sich und ihre Familien damit über Wasser zu halten, den Großen geht es um Macht und Reichtum in Form von Wasser, Öl und Diamanten – gleichgültig, ob sie einen Gott oder den Antikolonialismus auf ihre Fahnen geheftet haben.
Frühstück, es gibt kein Brot, keine Butter, keine Marmelade, keine Milch, keine Früchte, nichts, fast nichts. Nur Kaffee, Zucker und zwei Spiegeleier. (Die Eier von mir besorgt.) Das ist nicht witzig. Das wird es erst, als mir der Rezeptionist auf die Schulter tippt und um meinen Kaffeelöffel bittet. Der sei der einzige im Haus und die anderen zwei Gäste würden auch gern mit ihm umrühren. Fast gleichzeitig prusten wir los, erkennen unter Gewieher den Aberwitz der Situation. Drei Meter neben uns, hinter dem großen Fenster, liegt ein Land, so dunkelgrün, so üppig und wuchernd wie keine zehn anderen Länder im Universum. Und die Realsatire hört nicht auf. Kurz darauf erklingt im Radio, wie jeden Tag um diese Zeit, »La Zaroise«, die Nationalhymne: »Nach vorn, stolz und voller Würde, großes Volk, für immer freies Volk … um aufzubauen ein immer schöneres Land.« — Andreas Altmann: Im Herz das Feuer, Seite 124f.
Resumee
Es gibt zur Zeit nicht viele Möglichkeiten, Afrika und seine Bewohner näher kennenzulernen, sofern man sich nicht selbst auf eine (abenteuerliche) Reise vor Ort einläßt. Die Medien erwähnen den Kontinent – aus der Ferne – fast ausschließlich in Zusammenhang mit Kriegen und Katastrophen (aller Art), afrikanische Filme oder Bücher sind in unseren Breiten Raritäten.
Altmanns Buch Im Herzen das Feuer ist somit eine seltene Gelegenheit, von den Widersprüchlichkeiten dieses Kontinents zu erfahren. Und dazu gehören eben nicht nur Strapazen, Mangel, Ärger mit Behörden und die schrecklichen Lebensbedingungen, sondern auch Sanftmut, Offenherzigkeit, Gastfreundschaft und alle anderen schöne Momente, die Afrika bieten kann.
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