König Minos und sein Volk
Das Leben im alten Kreta
Sachbuch, 1995/2000
Vorweg: Dieses Buch ist absolut lesenswert – für alle, die sich für die Frühgeschichte Kretas interessieren. Der Leser erhält einen guten Überblick über den Stand der (archäologischen) Forschung (etwa 1995/2000) und zudem einen guten Einblick in die Schwierigkeiten der Interpretation archäologischer Funde.
Die Kapitel:
- Menschen und Götter auf der "Insel der Seligen"
- Entdeckungsgeschichte – auf den Spuren der minoischen Kultur
- Das Leben im alten Kreta
Das Hauptaugenmerk liegt gewiss beim frühgeschichtlichen Einfluss Ägyptens, der Levante und vor allem Mesopotamiens. Insbesondere ihr religiöser Einfluss – die Ähnlichkeiten der frühkretischen Göttern mit solchen wie z.B. Baal, Adad, Anat u.a. – scheint das Steckenpferd der Autorin zu sein.
Ein weiterer, wesentlicher Punkt ist die Siedlungs- und Baugeschichte Kretas, ansprechend behandelt und unterstützt mit zahlreichen Plänen (nicht nur Knossos und Phaistos).
Auch das ausführliche Register sei lobend erwähnt.
Kritik
Dennoch bleiben ein paar Wermutstropfen:
Das Layout des gesamten Buches ist sehr lieblos, was nicht weiter schlimm wäre. Aber die Abbildungen so schlecht zu platzieren, dass man mitunter Textzeilen übersieht, weil sie zwischen Kopfzeilen, Abbildungen und Bildunterschriften untergehen das erfordert schon einiges.
Ein farbiger Bildteil hätte "Das Leben im alten Kreta" etwas anschaulicher gemacht. Nur die – mitunter leichter erkennbaren – Skizzen der diversen Funde in schwarz-weiss zu zeigen, lässt die untergegangene Kultur noch blasser erscheinen als notwendig.
Mitunter vergaloppieren sich auch Wissenschafter. Das ist weder neu noch zu verhindern. Doch hier (auf Seite 157) bietet sich ein besonders anschauliches Beispiel dafür:
Von den Tausenden von Bestattungen in den 50 Rundgräbern der Mesara blieb kein einziges vollständiges Skelett erhalten, und nur wenig mehr als ein Dutzend Schädel konnten studiert werden. Diese gehörten der "mediterranen" sowie der "mesozephalischen" Rasse und ihren Vermischungen an; der "taurisch, brachyzephale Typ" dagegen war ganz selten.
Die Schädelmesserei und ihre "wissenschaftlichen" Erkenntnisse sind mittlerweile – und mit Recht – aus der Mode gekommen. Diese Ausgeburt der Vermessungswut des 18./19. und leider auch noch 20. Jahrhunderts wurde als das erkannt, was sie immer schon war: ein Hirngespinst ohne jede Aussagekraft.
So auch hier. Etwa 12 Schädel (von Tausenden!) werden (allen Ernstes!) in 3 Rassen unterteilt, wobei ausserdem eine 4. Kategorie eine Mischform von 2 Rassen darstellt. Ein ausgewogenes Verhältnis unter den "Rassen" wäre folglich etwa 4:4:4, mit der Mischform etwa 3:3:3:3. Wenn nun eine "Schädelform" davon "ganz selten" ist, wird sie nicht nur 1x, sondern eher 2 oder 3x vorgekommen sein. Ähm
und wo, werte Frau Professor, liegt nun der Unterschied zwischen "ganz selten" und "normal verteilt"? Wohl nur in Ihrer Interpretation.
Was sagt uns das? Richtig! Zum Einen: Es ist schwachsinnig, aus solchen Funden irgendetwas anderes ableiten zu wollen. Wurde aber – und wird leider von einigen offenbar noch immer.
Zum Anderen: Die schwache Quellenlage verführt Historiker leicht (und leider oft), das Wenige überzuinterpretieren – von Fehlinterpretationen ganz zu schweigen. Insofern ist auch der Untertitel Das Leben im alten Kreta etwas übertrieben oder doch zumindest leicht irreführend; eine umfassende Kultur- oder gar Alltagsgeschichte dieser Zeit aus dem abzuleiten, was uns heute noch zur Verfügung steht, ist einfach nicht möglich.
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