qualifiziert & arbeitslos
Eine Irrfahrt durch die Bewerbungswüste
Originaltitel: Bait and Switch. The (Futile) Pursuit of the American Dream
Sachbuch, 2006
Inhalt
Nach Arbeit poor. Unterwegs in der Dienstleistungsgesellschaft – ihrem Selbstversuch, mit Billiglohn-Jobs zu überleben – untersuchte die US-amerikanische Kolumnistin und Schriftstellerin Barbara Ehrenreich diesmal die Arbeits- und Lebenssituation der Mittelschicht: Jene, die über eine (höhere) Bürotätigkeit, Krankenversicherung und ein Einkommen von rund 50.000 US-Dollar p.a. verfügen – oder einen solchen Job suchen.
Dass es dieser Schicht längst nicht nicht mehr so gut geht, belegen zahlreiche Statistiken und Befragungen, so z. B. jene aus dem Jahr 2004, dass 95 % der leitenden Angestellten (in den USA) mit einem freiwilligen oder unfreiwilligen Jobwechsel rechnen und 68 % eine plötzliche Entlassung befürchten.
Wo ich ein rundum angenehmes Leben vermutet hatte, herrscht nun zunehmend Elend, und so beschloss ich, der Sache nachzugehen. Ich wählte dieselbe Strategie wie bei »Arbeit poor« und betrat diese Welt als Undercover-Reporterin, um mir die Probleme mit eigenen Augen anzusehen. Werden Leute aus ihren angestammten Jobs vertrieben? Wie finden Sie einen neuen? — Ehrenreich: qualifiziert & arbeitslos, S. 10 (Ü: Gabriele Gockel und Sonja Schuhmacher)
Nach einer genauen Vorbereitung wirft sich die etwas über 40-Jährige unter ihrem Mädchennamen Alexander auf den Arbeitsmarkt, auf der Suche nach einer festen Anstellung im mittleren bis höheren Management im PR- und/oder Eventbereich – Bereiche, in denen Ehrenreich tatsächlich jede Menge Erfahrungen hat.
Was folgt, sind Monate leidvoller (und kostspieliger) Arbeitsplatzsuche: hunderte Onlinebewerbungen und -registrierungen auf Job-Plattformen, persönliches Networking, pseudowissenschaftliche Persönlichkeitstests, diverse Veranstaltungen, Initiativbewerbungen, mehrfache Lebenslaufüberarbeitungen, Coachings, Seminare, Camps, … – und natürlich jede Menge Bücher zum Thema Selbstvermarktung, Persönlichkeit, (Selbst)Management, …
Dennoch dringt sie nicht in die Chefetagen vor. LeidensgenossInnen trifft sie hingegen viele. Und Menschen, die um ihren Arbeitsplatz fürchten.
Der Druck auf die Angestellten steigt. Massenentlassungen treffen keineswegs nur Arbeiter und "niedere" Tätigkeiten. In Gefahr kommen nicht nur ältere Arbeitnehmer, sondern vermehrt auch solche mit gutem Gehalt. Das (arbeits)lebenslange Angestelltenverhältnis bei einer Firma gibt es längst nicht mehr, ein Dutzend Wechsel sind keine Seltenheit. Nach Ehrenreichs Recherchen sind rund 20 % der Arbeitslosen ehemals mittlere oder höhere Angestellte, euphemistisch "Führungskräfte im Umbruch" genannt.
Die stetig größer werdende Zahl arbeitsloser Angestellter (in ehedem höheren Positionen) ist freilich auch ein boomender Markt, auf dem sich neben obskuren "Experten" in den USA z. B. zunehmend auch christliche Gruppierungen tummeln, die ihre Missionierung als Hilfe für Jobsuchende tarnen.
Am Ende von Ehrenreichs Selbstversuch kann von einer festen Anstellung keine Rede sein. Nach fast einem Jahr intensiver Arbeitssuche hat Barbara Alexander nur Angebote als freier Dienstnehmer und ähnliche "atypische" Arbeitsverhältnisse erhalten. An jenem Zeitpunkt angelangt, an dem den meisten das Angesparte allmählich ausgeht und sie sich gezwungen sehen, "Übergangsjobs" anzunehmen, steigt Alexander aus.
Durchaus selbstkritisch reflektiert Ehrenreich zu Beginn des letzten Kapitels, weshalb sie als Alexander am Arbeitsmarkt übriggeblieben ist. Ein paar Gründe sind auf ihre Undercover-Situation zurückzuführen, die meisten jedoch sind allgemeiner Natur.
Vielleicht der seltsamste Aspekt der Unternehmenswelt, wie sie mir begegnet ist, war die unaufhörliche Betonung der "Persönlichkeit" und der "persönlichen Einstellung". Im Journalismus und auch in Akademikerkreisen hat man es oft mit schrulligen, ja sogar das schwierigen Menschen zu tun, und niemand beschwert sich darüber, solange das Manuskript rechtzeitig abgegeben wird und die Studenten das nötige Wissen vermittelt bekommen. […] Was hat die Persönlichkeit damit zu tun, wie man seine Arbeit erledigt? — Ehrenreich: qualifiziert & arbeitslos, S 237f.
Freilich bezweifelt Ehrenreich damit nicht die Notwendigkeit von Merkmalen wie Teamfähigkeit o.ä., sondern kritisiert den gewonnen Eindruck, dass Qualifikation, Erfahrung, Intelligenz und Können scheinbar keine Rolle spielen. Diesen Eindruck haben auch viele der Personen, die Heidenreich in diesen Monaten kennengelernt hatte. Diese hat sie im Nachhinein nochmals kontaktiert, ihnen die wahren Beweggründe geschildert und um ein Statement zur eigenen Arbeitsplatzsuche bzw. Arbeitsplatzsituation gebeten.
Den Abschluss bildet ein kämpferisches Resumee Ehrenreichs; kämpferisch, da sie mit Recht das kurzfriste Denken und Handeln der Firmen anklagt: wenn Angestellte nur noch als kurzfristige Einsparungsmaßnahmen – statt als Betriebskapital – gesehen werden; Effizienz, Intelligenz und Erfahrung von Mitarbeitern (oder Jobsuchenden) scheinbar keine Rolle spielt; das Überangebot an (heimischen) Arbeitskräften hemmungslos als Druckmittel verwendet wird, um den in einem Arbeitsverhältnis Befindlichen das Letzte abzuverlangen.
Kritik
Auch wenn die Autorin diese Erfahrungen in den USA gemacht hat und solche keineswegs eins zu eins auf europäische Verhältnisse anwendbar sind – die Tendenzen sind in vielerlei Hinsicht auch in Europa sichtbar. Wirklich Neues kann Barbara Ehrenreich kaum berichten, wohl aber ein beklemmendes Bild der Situation am Arbeitsmarkt für (höhere) Angestellte sowie einen interessanten Querschnitt durch das illustre Angebot an diesbezüglichen Weisheiten – verbreitet von Coaches, Ratgebern, Zeitschriften u. ä.
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