William Shakespeare:

Heinrich V.
Originaltitel: The Life of King Henry V.

Drama, um 1599

Inhalt

Der Dauphin von Frankreich weist die Ansprüche des jungen englischen Königs Heinrich V. auf den Thron von Frankreich zurück und schickt ihm zum Ausgleich eine Kiste voller Tennisbälle. Dem Erzbischof von Canterbury kommt diese Beleidigung zur rechten Zeit, will er doch jene Verordnung verhindern, durch die die englische Kirche jene weltlichen Ländereien, die ihr Gläubige testamentarisch hinterlassen haben, an die Krone abtreten müsste. Also bestärkt er Heinrich in seinem Vorhaben, die Ansprüche mit Gewalt durchzusetzen. Um den Schotten keine Gelegenheit zu geben, die Abwesenheit des Königs (wie so oft) für einen Einfall in England zu nutzen, rät der Erzbischof, nur ein Viertel des Heeres nach Frankreich mitzunehmen – in der Hoffnung, Heinrich würde mit diesem Expeditionskorp dort untergehen.

Die erste Gefahr für Heinrich kann rasch beseitigt werden: Eine Verschwörung um Sir Thomas Grey, Lord Scroop von Masham und den Grafen von Cambridge, allesamt vom französischen König bestochen, endet mit der Hinrichtung dieser Männer. Nun scheint der Weg frei.

König Heinrich: Fröhlich zur See! Die Fahnen fliegen schon:
Kein König Englands ohne Frankreichs Thron! — Shakespeare: Heinrich V. 2,2 (Ü: August Wilhelm von Schlegel)

Etwas profaner sehen das ein paar Soldaten, die einst unter Falstaff dienten und sich nun dem Heerzug Heinrichs anschließen.

Pistol: […] — Waffenbrüder,
Laßt uns nach Frankreich, wie Blutegel, Kinder:
Zu saugen, saugen, recht das Blut zu saugen! — Shakespeare: Heinrich V. 2,3

Zwar kann Heinrich die Belagerung von Harfleur – »Noch einmal stürmt, noch einmal, liebe Freunde!« – erfolgreich zu Ende bringen, doch sein Heer ist erschöpft und von Krankheiten geschwächt. Er lässt Harfleur neu befestigen und besetzen und will mit dem Hauptteil seines Heeres in Calais überwintern.

Inzwischen hat der französische König ein höchst ansehliches Heer gesammelt und stellt sich damit Heinrich bei Azincourt in den Weg. Die Chancen für Heinrich stehen schlecht: 12.000 ermattete Soldaten gegen 60.000 ausgeruhte Feinde. Entsprechend ersehnen die Franzosen den Morgen (3,7), während die Engländer ihn fürchten. In der berühmten Szene (4,1), in der sich Heinrich unterkannt unter seine Soldaten mischt, kommt man u.a. auf die Verantwortung des Königs zu sprechen:

Williams: Aber wenn seine Sache nicht gut ist, so hat der König selbst eine schwere Rechenschaft abzulegen, wenn alle die Beine und Arme und Köpfe, die in einer Schlacht abgehauen sind, sich am Jüngsten Tage zusammenfügen und schreien alle: »Wir starben da und da«, […] Wenn nun diese Menschen nicht gut sterben, so wird es ein böser Handel für den König sein, der sie dahin geführt, da, ihm nicht zu gehorchen, gegen alle Ordnung der Unterwürfigkeit laufen würde!
Heinrich: Also, wenn ein Sohn, der von seinem Vater zum Handel ausgesandt wird, sündlich auf der See verunglückt, so müßte man die Schuld seiner Ruchlosigkeit nach Eurer Regel auf den Vater wälzen, der Ihn aussandte. […] Wenn nun diese Menschen das Gesetz vereitelt haben und der natürlichen Strafe entronnen sind: können sie schon den Menschen entlaufen, so haben sie doch keine Flügel, um Gott zu entfliehen. Krieg ist seine Geißel, Krieg ist sein Werkzeug der Rache, so daß hier die Menschen für den vorherigen Bruch der Gesetze des Königs im gegenwärtigen Streit des Königs gestraft werden! […] Jedes Untertanen Pflicht gehört dem König, jedes Untertanen Seele ist sein eigen! — Shakespeare: Heinrich V. 4,1

Nicht nur die Soldaten versucht Heinrich aufzumuntern, auch den Grafen Westmorland:

Heinrich: Nein, Vetter, wünsche keinen Mann von England:
Bei Gott! ich gäb um meine beste Hoffnung
Nicht so viel Ehre weg, als ein Mann mehr
Mir würd entziehen. O wünsch nicht einen mehr!
[…] Der heut’ge Tag heißt Krispianus’ Fest:
Der, so ihn überlebt und heimgelangt,
Wird auf dem Sprung stehn, nennt man diesen Tag, […]
Und Edelleut in England, jetzt im Bett,
Verfluchen einst, daß sie nicht hier gewesen,
Und werden kleinlaut, wenn nur jemand spricht,
Der mit uns focht am Sankt-Krispinus-Tag! — Shakespeare: Heinrich V. 4,3

Die Schlacht bei Azincourt endet überraschend – die Ursache kennt oder thematisiert Shakespeare nicht. Trotz ihrer numerischen Überlegenheit werden die Franzosen vernichtend geschlagen. (Die Einnahme des englischen Lagers und die Niedermetzelung der Pagen vermag das nicht zu ändern.) Die Liste der gefallenen Franzosen umfasst 10.000 Tote, darunter 126 Fürsten und 8.400 Edle. Die Liste der gefallenen Engländer ist ungleich kürzer:

Heinrich: Eduard, Herzog von York, der Graf von Suffork,
Sir Richard Ketly, David Gam Esquire;
Von den Namen keine sonst, und von den anderen
Nur fünfundzwanzig! – O Gott, dein Arm war hier,
Und nicht uns selbst, nur deinem Arme schreiben
Wir alles zu. – Wann sah man, ohne Kriegslist,
Im offnen Stoß und gleichen Spiel der Schlacht
Wohl je so wenig und so viel Verlust
Auf ein und andrer Seite? – Nimm es, Gott!
Denn dein ists einzig! — Shakespeare: Heinrich V. 4,8

Der 5. und letzte Akt führt zur Aussöhnung zwischen England und Frankreich. Bei Troyes bringt der Herzog von Burgund die verfeindeten Könige Karl und Heinrich zusammen und verdeutlicht in seiner Rede die Folgen des grausamen Krieges:

Burgund: Wir wachsen auf gleich Wilden; wie Soldaten,
Die einzig nur auf Blut gerichtet sind, […] — Shakespeare: Heinrich V. 5,2

Zum Friedensschluss gehört auch die Hochzeit Heinrichs mit der französischen Prinzessin Katherina, eine Liebeshochzeit, auch wenn Heinrichs verliebtes Werben mitunter recht berechnend klingt:

Heinrich: […] denn ich habe Frankreich so lieb, daß ich kein Dorf davon will fahren lassen, es soll ganz mein sein! Und Käthchen, wenn Frankreich mein ist und ich Euer bin: so ist Frankreich Euer und Ihr seid mein! — Shakespeare: Heinrich V. 5,2

So endet das Stück letztlich in einer friedlichen Szene und optimistischer Erwartungen:

Isabelle: Gott, aller Ehen bester Stifter, mache
Eins eure Herzen, eure Länder eins!
Wie Mann und Weib, die zwei, doch eins in Liebe,
So sei Vermählung zwischen euren Reichen, […].
Daß Englische und Franken nur die Namen
von Brüdern sein: Gott sage hiezu Amen! — Shakespeare: Heinrich V. 5,2

Historischer Hintergrund

Als Heinrich V. (1387–1422) 1413 den englischen Thron bestieg, war die Ausgangslage zwiespältig: Sein Vorgänger und Vater, Heinrich IV. (1367–1413), hatte England innenpolitisch gefestigt und die Finanzlage war so gut wie schon lange nicht mehr. Aber Englands Position im Ringen um die französische Krone – im sogenannten Hundertjährigen Krieg (1339–1453) – schlecht: Abgesehen von einzelnen Stützpunkten wie Calais und Cherbourg waren alle Territorien in Frankreich verloren gegangen.

Nach der Niederschlagung von Verschwörungen durch die politisch-religiöse Bewegung der Lollarden und einer Verschwörung, die den Earl von March auf den Thron bringen wollte, aber von diesem verraten wurde, war die Herrschaft Heinrichs gesichert. Er nutzte eine innenpolitische Krise Frankreichs, um seine Ansprüche dort mit Waffengewalt zu vertreten.

Die Schlacht von Azincourt

Die Schlacht von Azincourt am 25. Oktober 1415 war ein Triumph des englischen Langbogens gegen die französische Reiterei. Die moderne Geschichtsforschung konnte belegen, dass diese Bögen ausreichend Spannkraft besaßen, um auf bis zu 200 Meter selbst schwer gepanzerte Reiter zu töten. Zwar waren die französischen Armbrustschützen diesbezüglich noch effektiver, aber sie brauchten wesentlich länger zum erneuten Spannen der Sehen.

Die Franzosen ließen sich trotz vom Regen aufgeweichten Boden zu einem Frontalangriff ihrer gepanzerten Reiterei auf die englischen Reihen provozieren. Als die ersten Reihen vom ununterbrochenen Pfeilregen verwundet und getötet wurden, zeichnete sich die Katastrophe ab: Vielzuviele Reiter drängten auf eine viel zu kleine Angriffsfläche. Von vorne beschossen, von hinten bedrängt, umringt von Fallenden und Zurückweichenden, blieb im Morast kein Raum zum Angreifen oder Verteidigen. Und ebenso erging es den französischen Fußtruppen, die dem Reiterangriff allzu dicht folgten. Wer nach dem Angriff nicht erschossen oder zertrampelt worden war und nicht rechtzeitig fliehen konnte, war schließlich dem Gemetzel der englischen Fußtruppen ausgeliefert.

Von den über 25.000 Franzosen waren in wenigen Stunden 8.000 bis 15.000 – die Schätzungen differieren in diesem Punkt beträchtlich – gefallen oder in Gefangenschaft, während die Engländer nur rund 400 Gefallene zu beklagen hatten.

Vertrag von Troyes

Der hohe Blutzoll seines Adels schwächte Frankreich nachhaltig. Heinrich V. konnte weite Teile Nordfrankreichs besetzen und sicherte sich 1420 im Vertrag von Troyes seine Ansprüche auf den französischen Thron durch seine Heirat mit Katherina von Valois, der Tochter des französischen Königs Karl VI., sichern.

Der damit faktisch übergangene Dauphin Karl VII. (1403–1461) weigerte sich den Vertrag anzuerkennen, konnte aber erst mit Hilfe der charismatischen Jeanne d’Arc (1412–1431) die Machtverhältnisse in Frankreich ändern.

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23.4.2005 / 2015

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