Chris Ayres
War Reporting for Cowards
Sachbuch, GB 2005
Das ist das witzigste Buch, das zum Thema (II.) Irak-Krieg bislang erschienen ist. Es ist kein Buch gegen den Krieg und schon gar nicht für den Krieg. War Reporting for Cowards ist ein erfrischend anderes Buch zum Thema Krieg, ganz bewußt durchgehend subjektiv gehalten: Die Erinnerungen eines Wirtschaftsjouralisten, der 9/11 (wie auch die Anthrax-Hysterie) in New York hautnah miterlebte und endlich den ersehnten Job eines Hollywood-Reporters erhielt.
Doch statt cocktail-schlürfend die Westküste zu genießen, wird er nach Kuwait geschickt, um als "eingebetteter Berichterstatter" über den (II.) Irak-Krieg zu berichten. An vorderster Front. Ausgerechnet er, ein Anti-Held.
Inhalt
Der britische Journalist Chris Ayres ist leicht übergewichtig, sehr sonnenempfindlich, hasst Champing jeder Art, ist auch sonst eher ängstlich und hat vorallem einem ausgeprägten Hang zur Hypochondrie. Und er hatte immer schon eine ziemlich genau Vorstellung von seinem Traum-Job:
If I saw journalism as a passport to anything, it was fun. I wanted to meet celebrities, dine at Michelin-starred restaurants, and feel important at parties. I fantasized about pontificating on world events, penning witty op-ed columns, and profiling politicans and rock stars – all from the comfort and safety of an air-conditioned London office.
Most of all, perhaps, I wanted my writing to impress exotic, intellectual girls with exciting curves. It's fair to say that taking mortar fire didn't feature, at all, in my decision to seek a job in the news business. — Chris Ayres: War Reporting for Cowards, Seite 18
Und als Ayres als Korrespondent der britischen Times nach Hollywood versetzt wird, scheint sein Traum eben in Erfüllung gegangen zu sein. Eben – das ist im Jahr 2002, als Saddam Hussein mit den UN-Waffeninspektoren Verstecken spielte und (im Westen) allen klar war, dass die USA unter George W. Bush einen weiteren Krieg, den 3. Golfkrieg, mit dem Irak anstrebten.
Ein frühmorgendlicher Anruf seines Chefs ändert Ayres' Situation komplett:
‘Ayres, do you want to go to war?’ he asked.
Still half asleep, I struggled to understand the question.
‘Yes! Love to!’ I blurted.
‘Gd. […] You might as well go to the Gulf – there won't be much of a market for LA when the war starts. No one wants to read about celebrities any more.’
‘Absolutely,’ I said, feeling dizzy.
‘The Americans seem to have some kind of scheme. It's called “embedding”. Make sure you get on it, Ayres.’ — Chris Ayres: War Reporting for Cowards, Seite 113
Ayres wagt es nicht, seine verschlafene Zusage zurück zu nehmen, obwohl er sich für alles andere als einen Kriegberichterstatter hält. Wie die meisten seiner britischen Altersgenossen verfügt Ayres (Jahrgang 1976) über keinerlei militärische Erfahrung und kennt den Krieg nur aus Spielfilmen wie Apocalypse Now oder Saving Private Ryan.
Schon die Übersiedlung von London nach New York – als Auslandskorrespondent der Londoner Times – hatte großen psychosomatischen Stress bei ihm ausgelöst und das Aufsuchen seiner Ärztin zur Routine gemacht. Die Terroranschläge vom 11. September 2001 und die Hysterie der darauffolgenden Monate hatten das wahrlich nicht verbessert. Erst der neue Job in Hollywood machte Arztbesuche plötzlich entbehrlich.
Ayres hofft, dass der Krieg irgendwie doch nicht ausbricht; und falls doch, er irgendwo auf einem Flugzeugträger – oder ähnlich weit weg von der Front – in einer relativ bequemen Umgebung überstehen kann. Beide Hoffnungen werden sich nicht erfüllen.
Einen militärischen Vorgeschmack erhält Ayres durch die Liste des Pentagon, welche Sachen er mitzubringen hat:
It went on for two pages. Some items were obvious (‘Undershirt, 1’) others worring (‘Boots, Mark Left Boot with Blood Type/Social Security Number, 1 pair’). Many items were simply baffing. What, for example, was a ‘MOPP suit’, and why did we need gloves in the desert? […] Then another thought struck me: where would I buy all this stuff in West Hollywood? — Chris Ayres: War Reporting for Cowards, Seite 144
Er versucht sein Glück bei diversen Campingausrüstern.
‘I have a shopping list,’ I said.
‘Big trip comin' up,’ he replied, with a nod but no question mark.
‘Yeah, a big one. A very big one.’
‘Cool.’
I wondered if outdoorsy people could sense their own kind. I wondered if Brock already knew I was a camping amateur.
He took the list and stared at it for what felt like an hour.
Finally he coughed and said, ‘Dude, what the hell are y'gonna do with all this? Invade Mexico?’ He looked up.
‘Iraq,’ I said. ‘Not Mexico.’
[…] ‘I'm a reporter,’ I explained. ‘London Times. I'm being embedded.’ […] ‘Based here,’ I clarified. ‘I write about, er, Hollywood. And stuff, y'know?’
‘And they're sending you to … Iraq?’
‘Yeah. They are.’ — Chris Ayres: War Reporting for Cowards, Seite 148
Schon die Crash-Kurse für die künftig "eingebetteten" Journalisten erweist sich für Ayres als Albtraum, noch schlimmer wird dann der richtige Einsatz. Ayres wird der Artillerie zugewiesen, die den Vormarsch der Infanterie an den Flanken decken soll, genauer gesagt: einem Humvee mit aufgesetzter Kanone und dem dazu gehörenden Team von Marines.
Ende März 2003 beginnen die Koalitionstruppen mit dem Einmarsch in den Irak von Kuwait aus.
Für Ayres bedeutet das: im engen Humvee im unendlichen Niemandsland herumkutschiert werden ohne zu wissen, wo man sich genau befindet, an jedem Standort ein Schützenloch ausbutteln, Aufgabe aller persönlichen Hygienestandards, ständige Angst vor Überfällen, Landminen, Taranteln und Giftgasangriffen und – soferne er nicht absolute Funkstille einhalten musste – Kampf mit der Technik von Computer und Satellitentelefon, vom Kanonendonner übertönte Telefonate …
Was sich durchwegs lustig liest, war für Ayres die Hölle.
Für das eingespielte Team von Soldaten war Chris Ayres eine Belastung und auch eine potentielle Gefahr. Ein "Presse-Typ" aus einer anderen Welt, hilflos und ängstlich in dieser außergewöhnlichen Situation, jemand, der nicht einmal den Militär-Jargon verstand, ganz zu schweigen von Können, Motivation und Verhalten. Eine Lachnummer, die bestenfalls der Unterhaltung diente.
I was an idiot in a blue flak jacked. The Marines didn't even want me there. Being an embed, it seemed, was the lonliest job on earth. — Chris Ayres: War Reporting for Cowards, Seite 242
Ayres verstand das durchaus und bald auch den Sinn dieser neuen Art von Kriegsberichterstattung: Die Angst und die völlige Abhängigkeit von den Marines machte den "eingebetteten" Berichterstatter zu einem Marine, absolut unfähig auch nur einen "neutralen" Gedanken über die andere Seite – den Feind! – zu fassen.
And what was the point of being an embedded journalist anyway? Proper war correspondents write about both sides of a conflict. I might as well have been paid by the Marines. Also, I had no idea what was going on. Buck made sure that the only information I got was what I heard on the Humvee's radio or saw with my own eyes. […] My mum knew more about the war than I did. Sometimes I felt as though all I did was standing next to the guns and describe loud they were. Was that worth dying for? The alternative, of course, was to go unilateral. But that seemed like suicide. — Chris Ayres: War Reporting for Cowards, Seite 258
Das Ende seiner Kriegsberichterstattung kommt abrupt. Aufgrund eines dubiosen Befehls muss Ayres sein Satellitentelefon abgeben und kann somit seine Arbeit nicht mehr machen. Sein Weg zu den hinteren Linien ist abenteuerlich, doch schließlich erreicht er Kuwait-City, völlig verdreckt aber unverletzt.
Geschadet hat ihn das Abenteuer, wie Ayres am Schluss eingesteht, letztlich nicht. Die (kurze) Erfahrung des Krieges hat ihm viel von seiner allgemeinen Ängstlichkeit genommen. Die Times brachte seine Berichte groß raus. Und sein Buch wurde ein Riesenerfolg. Zurecht.
Kritik
Es gibt etliche Bücher von und über Kriegsberichterstatter. Was War Reporting for Cowards so außergewöhnlich macht, ist die Tatsache Chris Ayres sich nie als solcher gefühlt hat und niemals einer werden wollte. Ja, er hält sich nicht einmal für einen besonders guten Journalisten. Im Grunde genommen wollte er einfach stets nur einen angenehmen Job. Und genau diese Ehrlichkeit und der Mut, mit dem er seine Fehler, sein Nicht-Wissen, seine Irrtümer und Unzulänglichkeiten u.s.w. offen eingesteht, verleiht dem Buch jede Menge Witz und macht es dem Leser bzw. der Leserin möglich, sich mit (zumindest teilweise) mit diesem Anti-Helden zu identifizieren.
Dennoch verkommt die Geschichte nicht zu einer Burleske, zum Dauer-Schenkel-Klopfer. In die Realsatire mischen sich ebenso Kritik, ernste Reflexion und einfühlsame Schilderungen – als vielleicht bestes Beispiel sei hier auf die bemerkenswerte Passage über den 11. September 2001 verwiesen. Deren krönender Abschluss ist ein Antwortmail seines Chefs in London, nachdem Ayres ihm gemailt hatte, dass er Leute von den Türmen herunterspringen hat sehen und sich außerstande sieht, darüber zu schreiben. Die Antwort ist so kurz wie kalt:
Thousand wds please on ‘I saw people fall to death,’ etc. — Chris Ayres: War Reporting for Cowards, Seite 72
Übrigens bietet War Reporting for Cowards auch sonst jene Menge Einblicke in die praktische Arbeit eines Presse-Korrespondenten – und nicht nur als "eingebetteter" Journalist im Irak-Krieg. Allein schon deshalb sollte man dieses Buch gelesen haben.
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