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Odysseus
Der Sohn des Sisyphos

Odysseus, der König von Ithaka, ist dank der beiden Epen Homers, der Ilias und der Odyssee, heute noch ein Begriff und wahrscheinlich der erste, leider meist auch der einzige Name aus der griechisch-römischen Mythologie, mit dem die meisten Menschen etwas anfangen können (oder wenigstens sollten).

Odysseus in der Ilias

In der Ilias, die einige wenige, aber entscheidende Tage des Trojanischen Krieges (s. Priamos und Troja) zum Inhalt hat, begegnet uns Odysseus in vielerlei Rollen: zum einen ist er ein König und Heerführer, zum anderen ein Krieger, den wir an mehreren Textstellen "bei der Arbeit" beobachten können: wir sehen, wie er kämpft, wie er tötet, wie er verletzt wird. An einer Stelle wird er auch "Dulder" genannt – vielleicht ein Hinweis auf seine späteren Abenteuer.

Wir lernen aber auch seine sportlichen Fähigkeiten kennen: bei den Leichenspielen zu Ehren des gefallenen Patroklos siegt er im Wettlauf und weiß sich dank seiner Schlauheit auch beim Ringen gegen – den sicherlich als stärker einzuschätzenden – Aias durchzusetzen. Und wir erleben ihn als Redner, Wortführer, klugen Ratgeber.

Der zehnte Gesang der Ilias, die sogenannte "Dolonie", ist hinsichtlich Odysseus’ Charakter besonders interessant. Aus verschiedensten Gründen halten viele Philologen diesen Teil für eine nachträgliche Einfügung; aber dies nur nebenbei. In diesem Gesang begeben sich Odysseus und Diomedes auf Spähtrupp. Ihr Ziel ist es, den Gegner, also die Trojaner, auszuspionieren und womöglich seine Absichten in Erfahrung zu bringen. Das ist deshalb möglich, weil der Feind ausnahmsweise nicht in der Stadt, sondern nahe der Küste lagert. Mit der gleichen Absicht begibt sich der Trojaner Dolon ins Niemandsland. Odysseus und Diomedes nehmen ihn gefangen und versuchen, Informationen über die Lagereinteilung und ähnliches aus Dolon herauszubekommen; sie versprechen ihn freizulassen, sollte er ihre Fragen beantworten. Schließlich geht Dolon darauf ein und erzählt, was die beiden wissen wollen. Ohne zu zögern bringen sie ihn anschließend um und benutzen die von ihm erpressten Informationen dazu, möglichst viele Feinde im Schlaf zu töten. (s.a. Euripides Rhesos)

Odysseus in der Odyssee

In der Odyssee ist die Handlung freilich etwas anders gelagert. Trotzdem sehen wir auch hier den "König und Heerführer" – abgesehen vom Mittelteil, wenn alle seine Männer umgekommen sind und er noch nicht auf Ithaka um seine Herrschaft kämpfen muß. Auch den "Krieger" erleben wir wiederum, wenn auch wesentlich verkürzt; auf der Heimfahrt wollte er unbedingt noch Städte erobern – der Anfang vom Unglück. Troja ist ebenfalls nochmals Thema: Odysseus als tatkräftiger Eroberer.

Als "Sportler" darf er sich bei den Phaiaken nochmals profilieren – obwohl er durch die Anstrengungen seiner langen Reise aus der Form gekommen ist. Der hervorstechenste Charakterzug ist aber Odysseus’ Schlauheit, obwohl er zu manchen Zeitpunkten alles andere als klug handelt. Seine Lügengeschichten, seine Tarnung, seine Verschlagenheit und sein Listenreichtum veranlassen nicht nur die Göttin Athene zu höchsten Lob:

»Der wäre Meister des Vorteils, Meister im Hehlen und wäre
selbst er ein Gott, der dich überböte in sämtlichen Schlichen!
Hinterhältiger, ewiger Planer, du schwelgst ja im Truge!
Wolltest du gar in der eigenen Heimat das Täuschen nicht lassen,
nicht deine Sucht nach Schwindelberichten. Du liebst sie ja freilich
seit deinem ersten Schritt. Doch davon nun nichts mehr. Wir wissen
beide, was Vorteil heißt; denn du bist im Raten und Reden
weitaus der Beste von sämtlichen Menschen; an mir aber rühmen
Planendes, Vorteil bringendes Denken die sämtlichen Götter«Homer: Odyssee 13,291ff.

Odysseus in den attischen Tragödien

Eben das wurde in der Folgezeit die herausragende Charaktereigenschaft Odysseus’. In den (attischen!) Tragödien treffen wir weder den Sportler Odysseus, noch den Krieger. Auch der König und Heerführer Odysseus ist (fast) völlig verschwunden. Geblieben ist der Redner, der arglistige Täuscher, der verschlagene Ränkeschmied, der (meist) als wichtige Nebenrolle die Handlung mitbestimmt – vgl. z.B.: Euripides Iphigenie in Aulis, Euripides Rhesos, Sophokles Philoktetes, Euripides Fragment Palamedes.

Einen gewiss nicht unwesentlichen Anteil an dieser Entwicklung hatte auch die attische Realität.
Ab der Mitte des 5. Jahrhunderts erlebt die Kunst des "Redens" einen imensen Aufschwung in Athen. Die Demagogen, redegewandte Politiker, gewinnen mit der gleichzeitig aufsteigenden Demokratie immer mehr an Macht. Die um sich greifende Philosophie, der sich Athen nicht verschließen kann, gerät zunehmend unter den Einfluss der Sophisten, den Wortverdrehern, Männern, die mit gefinkelten Sätzen eine gute Sache zu einer schlechten reden können – und umgekehrt. Zahlreiche Lehrer unterrichteten – gegen Entgeld – wie man Scheinargumente und Beweise für die eigene Sache benutzt. Ehrgeizige Männer bedienten sich der Philosophie wie auch der Sophistik für ihre eigenen Zwecke und brachten die "wahren" Philosophen – wie etwa einen Sokrates – in Verruf (siehe auch Sokrates und die Sophisten).

Mit der gleichen Überzeugung, mit der sie auf die Demagogen hereinfielen und diese wählten, hasste und kritisierte ein Großteil der Bürger Athens die Sophistik und die Philosophie – was in ihren Augen einunddasselbe Übel war. Demagogen wie Kleon oder Alkibiades folgten sie, Sokrates hassten sie – beides mit gleicher Hingabe. Der gute Redner war nicht mehr automatisch lobeswert – wie zu Homers Zeiten –, er bekam eine hässliche Fratze als eine Art zweites Gesicht.

Wann immer ein Dichter – aus welchen Gründen auch immer – die Problematik rund um die Sophisten aufgreifen wollte, brachte er die mythologische Figur Odysseus ins Spiel, denn der Spiegel, den der Künstler seinem Publikum entgegenhielt, war traditionell der der Mythologie.

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2003
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