Marcus Tullius Cicero

Laelius. Über die Freundschaft
Laelius. de amicitia

Wie zuvor den Cato Maior hat Cicero auch dieses Buch seinem Freund Titus Pomponius Atticus gewidmet:

Wie ich aber damals als Greis an einen Greis über das Greisenalter schrieb, so habe ich die vorliegende Schrift als bester Freund für meinen Freund über die Freundschaft verfaßt. — Cicero: Laelius 5

Der Dialog basiert – so schreibt Cicero zu Beginn – auf der Schilderung von Ciceros (und Atticus’) Lehrer Quintus Mucius Scaevola von einem Gespräch, das der alte Gaius Laelius mit seinen Schwiegersöhnen Scaevola – Augur, Politiker (Consul 117) und angesehener Jurist – und Gaius Fannius zum Thema Freundschaft geführt hatte.

Da wir nun von unseren Vätern her wissen, dass die Freundschaft zwischen Gaius Laelius und Publius Scipio außerordentlich denkwürdig war, schien mir die Person des Laelius geeignet, zum Thema Freundschaft eben die Gedanken vorzutragen, die er, wie sich Scaevola erinnerte, auch tatsächlich dargelegt hat. — Cicero: Laelius 4

Cicero sieht das Gespräch nicht als philosophischen Disput, sondern eher als Lebensweisheit eines alten Mannes:

»… meine Worte können nur eine Aufforderung an euch sein, die Freundschaft über alle Dinge dieser Welt zu stellen; denn nichts ist unserem Wesen so angemessen, nichts ist so angebracht im Glück wie im Unglück.« — Cicero: Laelius 17

Freilich steht die (Männer)Freundschaft im Vordergrund. Doch dieses Werk ist auch eine politische Abrechnung Ciceros. 129 v.Chr. – das Jahr in dem das Gespräch stattfindet – steht die Republik im Bann der Auseinandersetzung zwischen der (stets) konservativen Senatmehrheit mit den Reformbestrebungen des Gaius Sempronius Gracchus, der die Arbeit seines ermordeten Bruders Tiberius Gracchus (133 Volkstribun) fortsetzen wollte. (Auch Gaius Sempronius Gracchus scheiterte am Widerstand der Konservativen und wurde 121 v.Chr. bei Unruhen in Rom getötet.)

»Denn unser Rang, Fannius und Scaevola, in dem wir stehen, verpflichtet uns, weit in die Zukunft zu schauen, welchen Lauf das Geschick des Staates nehmen wird. Die Sitte der Alten ist schon ziemlich aus der Bahn und dem Geleise gekommen.« — Cicero: Laelius 40

Die althergebrachte römische Verfassung, die Verfassung für einen Stadtstaat, war längst reformbedürftig geworden – was Cicero nicht sehen will –, hatten sich doch die Anforderungen an sie stark geändert. Rom war – spätestens seit der Vernichtung Karthagos (146) – von einer lokalen Macht zu einem Imperium angewachsen, das praktisch den gesamten Mittelmeerraum beherrschte. Einzelne Römer standen – fern von Rom – an der Spitze von mehreren Legionen und herrschten uneingeschränkt über Provinzen. Eine Macht, die einige bald mehr für die Eigeninteressen nutzten, statt für die Interessen Roms. Auch die Stadt Rom hatte sich geändert und war zu einer Weltstadt angewachsen. Doch je offensichtlicher die Mängel der alten Ordnung und Organisation sichtbar wurden, umso starrer hielten die Konservativen an ihr fest, umso radikaler agierten einzelne Reformer. Eine Spirale (der Gewalt), die von der (reformunwilligen) Republik ins Prinzipat führte: Marius – Bürgerkrieg – Alleinherrschaft des Sulla (samt seinen konservativen Reformen) – Bürgerkrieg – Alleinherrschaft Caesars – Bürgerkrieg – Herrschaft des Augustus und Etablierung des Principats. Die zwischenzeitlich regierenden Konservativen vermochten das Rad der Zeit niemals dauerhaft zurückzudrehen und ihre starre Haltung verhinderte eine konsequente Reorganisation des Staates.

Cicero wollte oder konnte das selbst im hohen Alter – nach dem Tode Caesars – erkennen. Noch am Vorabend des Principats propagiert Cicero das Ideal der vorväterlichen Republik und sieht in den Reformbestrebungen der Gracchen die Wurzeln des Übels.

»Schon ahne ich die völlige Trennung des Volkes vom Senat: Wie die höchsten politischen Fragen von der Masse entschieden werden!« — Cicero: Laelius 41

»… auf der "Bühne" – ich meine damit die Volksversammlung –, wo Verstellung und Verschleierung den meisten Spielraum haben …« — Cicero: Laelius 97

Die Leitung des Staates oblag wenigen hundert Senatoren aus wenigen aristokratischen Familien. Und Rom verfügte über keine ausgebildete, spezialisierte und objektive Bürokratie, sondern nur über einige Sklaven im Staatsdienst. Viele Tätigkeiten und Aufgaben waren an private Unternehmen verpachtet. Verantwortungsvolle Positionen waren auf Zeit (meist ein Jahr) mit Personen besetzt, die ihr Amt nun vorallem als Sprungbrett für ihre weitere Karriere verstanden. Und nichts war für solche Männer wichtiger als die eigene Klientel zu vergrößern (und zu versorgen). Persönliche Beziehungen und Freundschaften hatten daher auch immer politischen Charakter.

»[Scipio sagte] … die gefährlichste Seuche nämlich, die alle Freundschaften bedrohe, sei bei der Mehrzahl die Geldgier, bei allen Guten aber der Wettstreit um Ehre und Ruhm; schon oft habe sich daraus zwischen engsten Freunden die bitterste Feindschaft ergeben.« — Cicero: Laelius 35

Die Frage, was man einem Freund abverlangen kann, wird von Cicero klar beantwortet. Auch hier hat die Tugend Oberhand zu behalten.

»Euch aber lege ich ans Herz, die Tugend, ohne die Freundschaft nicht möglich ist, so hochzuhalten, dass es – von ihr allein abgesehen – für euch kein höheres Gut geben kann als die Freundschaft.« — Cicero: Laelius 104

Freundschaftliche Hilfe hat vor den Grenzen von Moral und Gesetz zu enden. Dass die Realität anders aussah, wusste Cicero – nicht zuletzt aus eigener, leidvoller Erfahrung.

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21.9.2004 / 2015

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