Selbstbetrachtungen
Ad se ipsum
Zwölf Bücher umfasst die schriftliche Hinterlassenschaft des imp. Caesar Marcus Aurelius Antoninus – Mitregent des Römischen Kaisers Antoninus von 138–161 und regierender Imperator von 161–180.
Trotz des Titels Selbstbetrachungen möchte man meinen, mehr über den seinerzeit mächtigsten Mann der Welt und seine Politik zu erfahren. Doch Marcus Aurelius hat diese Schriften nicht (bewusst) der Nachwelt hinterlassen, er hat sie für sich geschrieben. Das 1. Buch soll 168/169 entstanden sein, das Zweite 171/172 (in Carnuntum), die übrigen 10 in den weiteren Jahren bis zu seinem Tod. Es sind Gedanken, Mahnungen, … – an sich selbst (wie der Originaltitel besagt) und für sich selbst. Die Philosophie als Hilfe und Werkzeug zur Bewältigung des Alltags.
Wenn du zugleich eine Stiefmutter und eine Mutter hättest, dann würdest du zwar jener Aufmerksamkeit erweisen, aber doch stets zu deiner Mutter zurückkehren. So geht es dir nun mit dem Leben am Hof und der Philosophie! Kehr daher oft zu dieser zurück und finde deinen Frieden in ihr; durch sie wird dir auch das Leben am Hof erträglich scheinen und du selbst in ihm erträglich. — Marcus Aurelius: Selbstbetrachtungen 6,12 (Ü: Wilhelm Capelle)
Es sind Notizen, mitunter nur ganz wenige Sätze, selten mehr als ein Dutzend. Mahnungen, hinter das Offensichtliche zu sehen, allen Dingen auf den Grund zu gehen:
Ergründe, wie die Dinge selber sind, indem du sie zerlegst in Stoff, Ursache, Zweck. — Marcus Aurelius: Selbstbetrachtungen 12,10
Immer wieder tauchen die selben Themen auf, immer wieder schreibt der Imperator »Erinnere dich …«, »Prüfe …« oder »Denk daran …«. Gewiss ist es ihm nicht leicht gefallen, im Trubel des Alltags seinen Vorsätzen vollends gerecht zu werden. Und etliche Pflichten – als Herrscher über ein Imperium, das sich von Britannien bis zum Euphrat, von Germanien bis zur Sahara erstreckte – wird er als lästig empfunden haben.
Niemand soll dich mehr das Leben am Hof anklagen hören, auch du nicht dich selber. — Marcus Aurelius: Selbstbetrachtungen 8,9
Der nachdenkliche Kaiser hatte stets seinen Vorgänger und Adoptivvater Antonius Pius als Vorbild – fromm und pflichtbewußt. (Im Gegensatz zu manch anderem Herrscher vor und nach ihm).
Hüte dich, dass du verkaiserst oder angesteckt wirst. … Bleibe daher ein einfacher, guter Mensch, ohne Falsch, voll Ernst und Würde, schlicht und natürlich, ein Freund der Gerechtigkeit, gottesfürchtig und gütig, voller Liebe zu deinen Verwandten und stark zur Erfüllung deiner Pflichten. … — Marcus Aurelius: Selbstbetrachtungen 6,30
Marcus Aurelius war keineswegs von seiner "Allmacht" als Herrscher überzeugt, bestenfalls glaubte er daran, Vorbildwirkung zu haben und manchmal im Kleinen wirken zu können. Dinge oder Menschen an sich ändern zu wollen, hielt er für aussichtslos. Sie haben ihre Natur – und Marcus Aurelius akzeptierte das, wenngleich ihn das häufig in eine fast depressive Stimmung versetzte.
Und schon gar nicht ließ er sich von Glanz und Gloria rund um seine Person beeindrucken:
Der Zeitpunkt ist nahe, wo du alles vergessen hast, und nahe der Zeitpunkt, wo alle dich vergessen haben. — Marcus Aurelius: Selbstbetrachtungen 7,21
Beim Lesen sieht man den Imperator – dank Gladiator dem alte Richard Harris ähnelnd – im schwachen Schein einer Öllampe mit dem Griffel langsam und bedächtig Buchstaben aufs Papyrus malen. Und so sollte das Buch auch gelesen werden: Langsam und in Ruhe. Am Besten am Sofa liegend und in Gesellschaft eines Glas Weins.
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