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Erst Aischylos’ Tetrachie Orestes – bestehend aus dem Tragödien Agamemnon, Die Weihgußträgerinnen und Die Eumeniden – bereichert die Geschichte nachhaltig.

Der Muttermord

Was Orestes getan hatte, war nichts anderes als Selbstjustiz, ein Rachemord. Nach Ansicht der Dichter (die einzige Quelle, die wir dafür haben) war dies damals – d.h. im Zeitalter der Heroen – durchaus üblich, wenn auch nicht unproblematisch. Der unnatürliche Tod eines Menschen – sei es durch Mord, Totschlag oder mitunter sogar durch einen Unfall – forderte Vergeltung. Es war die Aufgabe der männlichen Verwandten, dafür zu sorgen, dass der Schuldige zur Verantwortung gezogen wird. Zwar musste nicht gleich erneut Blut fließen, sofern man sich auf eine Bußleistung des Schuldigen einigen konnte, galt dies ebenfalls als Vergeltung. Doch in den meisten Fällen schien nur die nackte Gewalt bzw. die Gewaltandrohung passend.

Die Mythologie ist voll von Männern, die wegen absichtlichen oder unabsichtlichen Totschlags ihre Heimat verlassen mußten – allerdings darf dabei nicht verschwiegen werden, dass diese Gründe vielfach vorgeschoben waren, weil man sich andere Gründe für einen Ortswechsel kaum vorstellen konnte. Weshalb sollte beispielsweise ein Atreus als älterster Sohn des Königs Pelops seine Heimat – sein Erbe! – in Pisa verlassen und in der Fremde sein Glück suchen? Er mußte dazu gezwungen worden sein, anders wäre es nicht glaubhaft.

Im Falle Agamemnons war Orestes der einzige männliche Verwandte des Toten – Menelaos war ja zu Zeit noch verschollen und totgeglaubt. Also war Orestes gezwungen, die Rache zu vollziehen. Das Dumme daran war, dass nun verwandtes Blut vergossen wurde. Verwandtenmord galt als ein besonders abstoßendes Verbrechen und es gab spezielle Hüter(innen) die einsolches ahndeten: die Erinnyen. Sie waren Dämonen der Rache, strafende Dämonen, die den Täter in den Tod trieben oder wenigstens quälten. Aber sie wurden nicht von sich aus tätig, sondern das Mordopfer rief sie dazu auf – oder auch nicht.
D.h.: Orestes ist gezwungen, den Mord an seinem Vater Agamemnon zu rächen – mit dem dessen Mörder Klytaimestra und Aigisthos nicht (nahe genug) verwandt waren, um die Erinnyen tätig werden zu lassen. Der Tötung der Mutter wird aber die Bestrafung durch die Göttinnen zwangsläufig folgen.

In Aischylos’ Die Weihgußträgerinnen ist sich Orestes dieses Dilemmas wohl bewusst. Noch vor dem Muttermord berichtet er, was der Gott Apollon, den er um Rat gefragt hatte, ihm geweissagt hat: begeht er den Muttermord, wird er viel Leid zu ertragen haben, begeht er ihn nicht, werden die Erinyen des Vaters – d.h. die Rachegöttinnen, die der tote Vater bzw. das väterliche "Mordblut" gegen ihn aufruft – zusetzten. Im Angesicht des Todes warnt Klytaimestra Orestes vergeblich:

Klytaimestra: »In acht nimmt vor der Mutter wütgen Hunden [= Erinnyen] dich!«
Orestes: »Und die des Vaters, wie sie meiden, laß ich’s sein?« Aischylos: Choephoren 924f.

Nach dem Muttermord fallen die »wütgen Hunde« über Orestes her, er muss fliehen.

Urteil und Entsühnung

Zur Zeit des Aischylos (5. Jahrhundert v. Chr.) ist die Blutrache längst aus der Mode gekommen, Gerichte sind für solche Fälle zuständig. Diesen Wandel kleidet Aischylos (nach einem älteren Vorbild) in einen Mythos. Im letzten Teil der Orestie, der Tragödie Die Eumeniden, steht Orestes in Athen vor Gericht. Die Kläger sind die Erinnyen, sein Verteidiger Apollon selbst. Am Ende wird Orestes freigesprochen (bei Stimmengleichstand), die protestierenden Erinnyen erhalten eine neue Aufgabe: aus den wegen ihrem abscheulichen Aussehen verhassten Dämonen werden Hausgötter, ohne die eine Familie (des Hauses) nicht gedeihen kann.

Euripides interpretiert die Erinnyen etwas anders, nämlich psychologisch: nur Orestes kann die Erinnyen sehen, sie sind – ohne es auszusprechen – das schlechte Gewissen der Tat oder genauer gesagt die Verkörperung jener Aspekte, die gegen die Tat sprachen.

Nach der Entsühnung

Um Iphigenie von ihrem leidvollen Dasein bei den Taurern zu befreien, ändert Euripides die Aischylos-Version ab: in dem Stück Iphigenie bei den Taurern akzeptiert ein Teil der Erinnyen die neue Rolle als "Eumeniden" nicht und quält Orestes weiter. Apollon rät seinem Schützling, ein alte Palladium der Göttin Artemis von den Taurern nach Athen zu bringen. So machen sich Orestes und sein Freund Pylades (der Sohn des Strophios, bei dem Orestes nach der Ermordung Agamemnons aufgewachsen ist, und der seither stets an Orestes’ Seite ist) dorthin auf. Die Geschwister erkennen einander wieder und die Göttin Artemis zwingt den Taurerkönig, die drei Hellenen in ihre Heimat zurückkehren zu lassen.

Der "Ausflug" zu den Taurern scheint eine wahre Lawine losgetreten zu haben. Nun war es möglich, Orestes herumirren zu lassen, wo man wollte, alles schien plausibel. So wurde Orestes z.B. nach Kleinasien verschlagen, wo man ihn wegen seinem Vater töten wollte, und auch auf der Peloponnes gab unzählige Orte, an denen sich Orestes während seiner Qualen (vor der Entsühnung) aufgehalten haben soll. Die meisten dieser Geschichten blieben lokale Sagen ohne nennenswerte Bedeutung.

Es waren drei Dinge, die man mit Orestes sogleich assoziierte: den Muttermord bzw. die Rache für den Vater, die Verfolgung durch die Erinnyen und die Freundschaft mit Pylades.
Auch in den früheren Dramen kehrt Orestes in Begleitung des Pylades in seine Heimat zurück, doch die für uns ältereste, eingehendere Darstellung dieses Freundschaft ist uns in dem Euripides Stück Orestes erhalten. Dort wird diese lebenslange Freundschaft gleichsam als krasses Gegenstück zur Untreue der Verwandtschaft Orestes’ in den Vordergrund gestellt. Spätestens seit der Aufführung dieses Dramas zählten Orestes und Pylades zu den klassischen Freundespaaren der Mythologie (s.a. Cicero: Laelius und Ov.ars).

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2003
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Quellen zu Orestes

Antike